SeWAGE PLANT Toolbox – Energiesystemmodellierung Wasserelektolyse unter Co-Nutzung von Sauerstoff und Abwärme

Übersicht SeWAGE PLANT TOOLBOX

Überblick: Untersuchungsschwerpunkte und Zielsetzungen des Tools

Die SeWAGE PLANT Toolbox ermöglicht die Gestaltung und Betriebsführung von Systemen zur Bereitstellung von grünem Wasserstoff mittels Wasserelektrolyse unter gleichzeitiger Nutzung der Nebenprodukte Sauerstoff und Wärme z.B. in Kläranlagen oder vergleichbaren Infrastrukturen. Ein wesentlicher Fokus der Toolbox liegt auf der Analyse und Bewertung derartiger Systeme hinsichtlich Energieeffizienz und Wirtschaftlichkeit. Dabei stehen praxisrelevante Kennzahlen im Mittelpunkt wie z.B.:

  • Wasserstoffbereitstellungskosten EUR/kgH2
  • Wärmebereitstellungskosten EUR/kWhth
  • Sauerstoffbereitstellungskosten EUR/kgO2

Die Anwendungsmöglichkeiten der Toolbox umfassen die Erstellung von Fallstudien und Machbarkeitsanalysen an kundenspezifischen Standorten sowie die Durchführung von Analysen im Rahmen von Forschungsprojekten und Studien.

Ansprechpartnerin

Dr.-Ing. Astrid Lilian Bensmann
Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Hintergrund und Motivation

In einem klimaneutralen Energiesystem werden zukünftig große Mengen an grünem Wasserstoff erforderlich sein um verschiedene nicht direkt elektrifizierbare Anwendungen der Industrie und Mobilität zu dekarbonisieren. Mit dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft entstehen zugleich große Mengen der Elektrolyse-Nebenprodukte Sauerstoff und Wärme. Die Nutzung dieser Nebenprodukte trägt zur Erhöhung der Energieeffizienz bei und verfolgt das Ziel eines sparsamen Umgangs und der Nutzenmaximierung begrenzter Ressourcen.

Die folgenden Nutzungsmöglichkeiten und Anwendungen der Elektrolysenebenprodukte stehen im Fokus der Toolbox (sind aber nicht auf diese beschränkt):

  • Elektrolysesauerstoff kann in Kläranlagen zur Belüftung der Belebungsbecken eingesetzt werden. Damit wird der Einsatz energieintensiver Gebläse vermindert und es können Betriebskosten eingespart werden. Kläranlagen sind bedeutende kommunale Energieverbraucher und verursachen global fast 1% des Gesamtstromverbrauchs, wobei 50-80% dieser Energie für die konventionelle Belüftung genutzt werden.
  • Die Elektrolyseabwärme kann durch Wärmepumpen, Speicher und eine Anbindung an das Fernwärmenetz zur Bereitstellung z.B. von Gebäudewärme genutzt werden. Fernwärmenetze müssen im Zuge der Defossilisierung auf erneuerbare Wärmequellen umgestellt werden. Neben der Elektrolyseabwärme kann Wärmeenergie aus weiteren Quellen wie z.B. aus dem Abwasser der Kläranlage gewonnen werden.

Durch die Kombination der genannten Anwendungen ergibt sich ein komplexes und vernetztes Energiesystem mit Abhängigkeiten auf Seiten des fluktuierenden Dargebots erneuerbaren Stroms, der daraus folgenden Wasserstoff-, Sauerstoff- und Abwärmeproduktion sowie der davon entkoppelten Bedarfe an Wasserstoff, Sauerstoff und Wärme. Für die technische Umsetzbarkeit und Wirtschaftlichkeit derartiger Systeme müssen die folgenden Anforderungen erfüllt sein:

  • Die wirtschaftliche Erzeugung, Speicherung und Distribution von Wasserstoff als Hauptprodukt muss sichergestellt sein.
  • Die Anforderungen der Wasserstoffabnehmer müssen erfüllt werden.
  • Die wirtschaftliche Nutzung der Nebenprodukte Sauerstoff und Wärme muss ebenfalls gewährleistet sein. Die Nutzung von Sauerstoff und Wärme als Nebenprodukte darf nicht zu Lasten der Wirtschaftlichkeit und technischen Umsetzbarkeit der Wasserstofferzeugung gehen.

Gleichzeitig müssen die gesetzlichen Anforderungen an die Abwasserqualität im Ablauf der Kläranlage zuverlässig erfüllt werden.

Merkmale und Eigenschaften der Toolbox

Die Toolbox ermöglicht die modellbasierte Simulation und Kosten-Optimierung von Systemen zur Bereitstellung von grünem Wasserstoff mittels Wasserelektrolyse unter gleichzeitiger Nutzung der Nebenprodukte Sauerstoff und Wärme und ermöglicht damit die Erfüllung der oben genannten (komplexen) Anforderungen derartiger vernetzter Systeme. Eine Vielzahl von Systemvarianten und -konfigurationen kann durch die flexible Verschaltung von Komponenten aus der Modellbibliothek (siehe Abbildung) abgebildet werden. Die betrachteten Teilsysteme umfassen:

  • Die Wasserstoffbereitstellungskette; von der Erzeugung erneuerbarer Energien, über die Wasserstofferzeugung mittels Wasserelektrolyse sowie die Verdichtung, Speicherung und den Transport.
  • Die Aufbereitung und Nutzung von Wärme zur Bereitstellung grüner Fernwärme; unter Berücksichtigung der Anhebung des Temperaturniveaus mit Wärmepumpen, der Wärmespeicherung und des Wärmetransports.
  • Systeme der konventionellen Belüftung von Kläranlagen und deren Substitution durch Elektrolysesauerstoff.

Methodische Details finden sich weiter unten im Text im Abschnitt „Details zur Methodik und Implementierung“.

Übersicht der Komponenten in der Modellbibliothek

Anwendungsbeispiele

  • Beispiel 1: Technischwirtschaftliche Analyse zur Nutzung von Sauerstoff aus der grünen Wasserstoffproduktion in der Belüftung von Kläranlagen

    Die hier gezeigte Studie umfasst die Analyse des Einsatzes von Elektrolysesauerstoff in der Belüftung von Kläranalgen und untersucht dabei eine Bandbreite von Wasserstoffbedarfen und Kläranlagengrößen. Durch die Optimierung der Komponentendimensionierung, werden die jährlichen Gesamtkosten des integrierten Systems minimiert. Die Auswertung umfasst unter anderem die Wasserstoffbereitstellungskosten und erzielten Einsparungen in der konventionellen Belüftung durch die Nutzung des Elektrolysesauerstoffs. Das hier gezeigte Beispiel bezieht sich auf das Referenzjahr 2035.

    Die untenstehende Abbildung zeigt einen Auszug der Ergebnisse der Studie. Die Wasserstoffbereitstellungskosten liegen zwischen 4.53 EUR/kgH2 und 3.47 EUR/kgH2. Der größte Anteil der Kosten entfällt auf die Strombereitstellung aus Wind und Photovoltaik sowie die Investition in das Elektrolysesystem. Eine Kostenreduktion wird vor allem durch die Skalierung des Wasserstoffbedarfs erreicht, denn größere Bedarfe benötigen größere Anlagen was zu geringeren spezifischen Investitionskosten und damit geringeren Wasserstoffbereitstellungskosten führt. Die Kosteneinsparungen in der Belüftung der Kläranlage durch die Nutzung von Elektrolysesauerstoff führen auf die Wasserstoffkosten angerechnet zu spezifischen Einsparungen von bis zu 0,39 EUR/kgH2.

    Ergebnisauszug der Studie zur Nutzung von Sauerstoff als Nebenprodukt der Elektrolyse in der Belüftung von Kläranlagen
  • Beispiel 2: Bereitstellung von Wärme aus dem Abwasser von Kläranlagen und der Abwärme der Wasserelektrolyse

    Als ein weiteres Beispiel soll eine Studie zur Bereitstellung von Fernwärme unter Nutzung von Wärme aus dem Abwasser von Kläranlagen und der Abwärme der Wasserelektrolyse dienen. Diese Studie untersucht vergleichend die Wärmebereitstellungskosten und Energieeffizienz verschiedener Systeme zur Bereitstellung grüner Fernwärme unter Nutzung jeweils verschiedener Wärmequellen. Dabei werden drei Systemkonfigurationen verglichen:

    1. Nutzung von Wärme aus Kläranlagenabwasser mittels Wärmepumpen
    2. Nutzung von Elektrolyseabwärme durch Wärmepumpen und Wärmespeicher
    3. Kombination von Elektrolyseabwärme und Wärme aus Kläranlagenabwasser durch Wärmepumpen und Wärmespeicher

    Für jedes System erfolgt eine Skalierung von Fernwärmebedarf und Elektrolyseleistung zur Darstellung verschiedener Varianten jedes Systems. Für jede Variante wird die Komponentendimensionierung mit dem Ziel minimaler jährlicher Gesamtkosten optimiert.

    Die Ergebnisse sind in der folgenden Abbildung dargestellt und zeigen, dass die Wärmebereitstellungskosten zwischen 25 EUR/MWhth und 60 EUR/MWhth liegen und Leistungszahlen von unter 2 bis über 6 erreicht werden. Die geringsten Kosten und höchsten Leistungszahlen werden bei großen Elektrolyseleistungen und im Vergleich dazu geringen Fernwärmebedarfen erzielt, da dann ein hoher Wärmeüberschuss mit hohen Temperaturen aus der Elektrolyse vorliegt.

    Ergebnisauszug der Studie zur Nutzung von Wärme aus der Elektrolyse und Kläranlagenabwasser zur Bereit-stellung grüner Fernwärme
  • Beispiel 3: Studie zur Optimierung von Strombezugskapazitäten durch „Power Purchase Agreements“ zur Versorgung einer geplanten Elektrolyseanlage unter Einhaltung des rechtlichen Rahmens der EU zur Erzeugung von grünem Wasserstoff

    In dieser Studie soll für den Betrieb einer geplanten 17 MW Elektrolyseanlage an einer kommunalen Kläranlage folgendes ermittelt und untersucht werden:

    • Der Strombezug für die Anlage soll kostenoptimal gestaltet und die Kapazitäten der Power Purchase Agreements (PPA) ermittelt werden.
    • Daten für die zeitliche Dynamik von Strombezug, Einlastung der Elektrolyseanlage und Produktmassenströme für weitere Planungen.

    Dabei muss die Einhaltung der durch die EU vorgegebenen Kriterien (RED II) für den Strombezug von Elektrolyseanlagen für die Produktion von grünem Wasserstoff gewährleistet sein. Daher soll der Strombezug primär durch „pay-as-produced PPAs“ mit Betreibern von Windenergie- und Photovoltaikanlagen erfolgen. Der Bezug von „grauem Strom“ über das Netz darf daher nur in geringen Mengen erfolgen, die den zuvor innerhalb eines definierten Zeitraumes (ein Monat) eingespeisten Stromüberschuss aus erneuerbaren Quellen nicht überschreiten.

    Die Studie ermittelt, dass für die 17 MW Elektrolyseanlage PPAs mit Kapazitäten von 39 MW Windenergieanlagen und 30 MW Photovoltaik kostenoptimal sind, was zu einer Elektrolyseauslastung von 6.600 äquivalenten Volllaststunden pro Jahr und einer jährlichen Wasserstoffproduktion von 2.158 Tonnen führt. Die untenstehende Abbildung zeigt die resultierenden Zeitreihen für die Stromerzeugung aus Windenergie (a), Stromerzeugung aus Photovoltaik (b), Netzbezug bzw. Einspeisung (c), Einlastung der Elektrolyseanlage (d) und Produktmassenströme (hier Wasserstoff) (e).

    Ergebnisauszug der Studie zur Optimierung des Strombezugs einer geplanten Elektrolyseanlage für einen kommunalen Abwasserbetrieb
  • Beispiel 4: Sensitivitätsanalyse zu den Erzeugungskosten von grünem Wasserstoff für einen kommunalen Abwasserwirtschaftsbetrieb

    In dieser Studie, die für einen kommunalen Abwasserbetrieb angefertigt wurde, werden die Erzeugungskosten von grünem Wasserstoff, auch Wasserstoffgestehungskosten genannt, in einer Sensitivitätsanalyse untersucht. Die Wasserstoffgestehungskosten hängen maßgeblich von den Investitionskosten für die Elektrolyseanlage, der Verfügbarkeit von Grünstrom bzw. der resultierenden Auslastung der Elektrolyseanlage sowie den Bezugskosten für Grünstrom ab. Die beiden erstgenannten Größen (Investitionskosten und Elektrolyseauslastung) werden im Folgenden untersucht. Ziel ist es zu quantifizieren, in welcher Größenordnung die Investitionskosten liegen dürfen, damit die resultierenden Wasserstoffgestehungskosten konkurrenzfähig sind und eine wirtschaftliche Wasserstoffproduktion möglich ist.

    Aktuelle Marktpreise für grünen Wasserstoff liegen laut EEX Hydrix in etwa zwischen 7 EUR/kg und 9 EUR/kg. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass bei optimaler Auslastung der Elektrolyseanlage die spezifischen Investitionskosten zwischen 2.700 EUR/kW bis höchstens 4.500 EUR/kW liegen dürfen, damit eine wirtschaftliche Wasserstoffproduktion möglich ist. Weitere Kosten für die Verdichtung, Speicherung und den Transport von Wasserstoff sind in dieser Studie nicht berücksichtigt.

    Ergebnisauszug der Studie zur Analyse der Auslastung und Investitionskosten der Elektrolyseanlage für eine wirtschaftlich konkurrenzfähige Wasserstoffproduktion

Kunden

  • Ingenieur-/Planungsbüros
  • Abwasserverbände
  • Kläranlagenbetreiber
  • Öffentliche Verwaltung und Behörden

Details zur Methodik und Implementierung

Die Toolbox umfasst hinsichtlich ihrer Methodik und Implementierung folgende Aspekte:

  • Technische Modelle, die nichtlineare sowie empirische mathematische Modelle zur Beschreibung des physikalischen Verhaltens der Komponenten und Systeme beinhalten.
  • Ökonomische Modelle bilden Investitions- und Betriebskosten ab, die auf Basis der Annuitätenmethode in jährliche Kosten umgerechnet werden.
  • Variable Parametrierungen der technischen und ökonomischen Größen sind möglich, beispielsweise für unterschiedliche Szenarien, Standorte und Jahre.
  • Zeitreihen zur Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom aus Wind und PV, Marktpreisen für Netzstrom sowie Bedarfszeitreihen für Wasserstoff, Sauerstoff und Wärme können in wählbarer Auflösung (z.B. stündlich oder 15 Minuten) eingebunden werden.
  • Der Simulationszeitraum kann entsprechend den Anforderungen der Studie angepasst werden, z.B. auf ein Jahr.
  • Die Modelle sind in OpenModelica implementiert.
  • Die Designoptimierung erfolgt mit dem Optimierungstool pygmo welches heuristischen Algorithmen wie z.B. den Particle Swarm Optimization Algorithm und den Compass Search Algorithm umfasst.

Förderhinweis

Die Toolbox ist im Rahmen des Verbundvorhabens „SeWAGE PLANT H - Sektorgekoppelte Wasserstoff-, Sauerstoff- und Abwärmeproduktion auf dem Großklärwerk Hannover-Herrenhausen“ unter finanzieller Förderung durch das Land Niedersachsen (Niedersächsische Wasserstoffförderrichtlinie) entstanden.